Sud 31
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Biertyp | Schankbier (Weizen) |
Bierart | - obergärig - |
Stammwürze°P | 8,3° |
Alkohol%Vol | 2,9% |
Brautag | 21.4.18 |
Anstich | 2.6.18 |
Ursprung | Polen |
Malze | Eichenrauch-Weizenmalz |
Hopfen | Lubelski |
Geschmack | erfrischend aromatisch, für ein Weizenbier recht hopfig, leicht rauchig |
Trinktemp.°C | 5° |
Was für ein Bier ist das?...
Das
Piwo Grodziskie
(wie das Bier in seiner polnischen Heimat hieß) ist im Prinzip der einzige originäre polnische Biertyp – kann dafür aber auf eine sehr lange Tradition zurückblicken und weist einige Besonderheiten auf!
Je nachdem, wer die Geschichte erzählt, geht dieses Bier auf deutsche oder böhmische Einwanderer zurück, die sich im 14./15. Jh. vor Ort niederließen und begannen, dort ihr einheimisches Weizenbier zu brauen. (Wobei die Version mit den böhmischen Einwanderern wohl die wahrscheinlichere ist, denn einerseits lässt sich auch das bayrische Weizenbier auf böhmische Einflüsse zurückführen, andererseits handelt es sich bei der verwendeten Hopfensorte um einen Abkömmling des Saazer Aromahopfens, den die Einwanderer vermutlich gleich mitbrachten...)
Es handelt sich beim
Grätzer
um ein eher "schwaches", obergäriges Schankbier, ausschließlich aus Weizenmalz. Qualität und Geschmack waren aber offenbar so herausragend, dass es der Verdrängungsiehe zur Verdrängung der obergärigen Bierstile durch die Pilsner Biere
die Erläuterungen bei Sud 30 der alten Biertypen durch die untergärige Brauweise in gewissem Maß standhalten konnte – es war bis ins 20. Jh. ein "weltberühmter", oft kopierter Exportschlager! Der endgültige Niedergang setzte erst mit dem zweiten Weltkrieg ein.
Biere mit hohen Anteilen an Weizenmalz sind brautechnisch etwas kompliziert:
Vor allem fehlen dem Weizen die Spelzen Spelzen sind die das reife Korn umhüllenden, trockenen Schutzblättchen, die dieses mehr oder minder fest umschließen. Für die Ernährung wurden wohl vor allem solche Getreide selektiert, die sich möglichst leicht von ihren Spelzen lösen. Beim Weizen reichte das Dreschen (heute bereits die Ernte im "Mähdrescher"), Gerste, Dinkel und Hafer müssen jedoch in einer Mühle extra "geschält" werden. Auch das Gerstenmalz ist noch von Spelzen umschlossen und man ist bemüht, diese beim Schroten möglichst "ganz" zu lassen – beim Läutern sorgen sie dann für eine gute "Wasserdurchlässigkeit" des Trebers. , die ihrerseits aber für eine gute Läuterbarkeit der Maische sorgen. Unsere Recherchen haben ergeben, dass früher sehr wahrscheinlich Haferspelzen zugegeben wurdenWas durchaus plausibel ist:
Da Hafer vor dem Verzehr in jedem Fall entspelzt werden muß, dieses Getreide aber immer auch eine gewisse Rolle in der menschlichen Ernährung spielte (Haferflocken, Hafergrütze), werden Haferspelzen wohl auch in ausreichenden Mengen zur Verfügung gestanden haben. – und bei unserem Sud hat sich gezeigt, dass sie tatsächlich idealAllerdings sind sie heute – da es den örtlichen Müller nicht mehr gibt – wohl etwas komplizierter zu beschaffen als in früheren Zeiten... geeignet sind!
Wie bereits beim Vorgänger-Sud thematisiert, war Malz seinerzeit zwingend mehr oder weniger rauchig. Da zum Darren normalerweise vor Ort verfügbare Heizmaterialien verwendet wurden, prägten hier EichenraucharomenWobei es allgemein so zu seien scheint, dass Eichenholz und alkoholhaltige Getränke geschmacklich ganz gut miteinander harmonieren! Selbst die Reifung in Eichenfässern ist nicht nur bei Wein und Destillaten üblich – sie wird auch bei Bieren ab und an praktiziert... den Geschmack des Bieres – in diesem Fall waren sie offenbar so essentiell, dass dies auch beibehalten wurde, als modernere Darrmethoden zur Verfügung standen.
Das Raucharoma gibt dem Bier eine zusätzliche Geschmackskomponente und lässt es gehaltvoller erscheinen, als es wirklich ist.Zudem wirkt Rauch konservierend, was mit der (zumindest für ein Weizenbier) recht kräftigen Hopfung, neben der Geschmacksfülle die "unübertroffene Haltbarkeit" erklären dürfte.
Ebenfalls nicht unwesentlich für das Ergebnis dürfte das Grätzer Brauwasser sein, um welches sich manche LegendeUnter anderem die, dass der Brunnen, welcher das ungewöhnlich reine Brauwasser spendete, im 17. Jh. austrocknete, und somit Stadt und Brauwesen der Niedergang drohte, worauf jedoch der glücklicherweise durchreisende Wandermönch Bernard von Wąbrzeźno den ausgetrockneten Brunnen mit einem Gebet wieder zum Laufen bringt und von nun an besseres Wasser als je zuvor sprudelte, welchem zudem fortan eine gewisse Heilkraft inne wohnte.
Andere Quellen berichten, dass im Brauprozess Weidenrinde Verwendung fand – was nahelegt, dass die der Quelle zugeschriebene Heilwirkung hinsichtlich Kopfschmerzen (was für eine glückliche Fügung in Verbindung mit alkoholischen Getränken!) letztlich auf die in der Weide enthaltene Salicylsäure zurückgeht... rankt. Fast schon eher ein Mineralwasser werden ihm (und dem daraus gebrauten Bier!) sogar gesundheitsfördernde Eigenschaften nachgesagt. Um einen hohen Grad an Authentizität bemüht, haben wir keine Mühen gescheut und unserem Wasser die fehlenden Mineralien zugesetzt – u.a. in Form von Heilwasser aus Bad SuderodeEin
Ort mit Heilquelle im Harz. Wobei deren Wasser dann aber schon eher als "Essenz" zu betrachten ist (was glücklicherweise den Transportaufwand deutlich verringert!) – für den Sud war (neben einem zusätzlichen Anteil von Braugips) nur eine recht geringe Menge erforderlich... .
Anders als in unserer Brauerei sonst üblich, wurde das Bier – den historischen Vorgaben entsprechend – mit Hausenblase Hausenblase ist ein sehr altes und ein in der Wein und Bierherstellung äusserst bewährtes Klärmittel; wobei "Hausen" Störe und das Mittel Kollagene aus dessen Schwimmblase sind... Im Prinzip handelt es sich um eine besonders feine Gelatine, deren Kollagene mit den Schwebstoffen "verkleben" und zu Boden sinken.
Im modernen Brauwesen werden Trubstoffe hingegen aus dem Bier herausgefiltert. geklärt.
Die Geschichte sagt, der Sozialismus (oder die Sowjets) wären am Niedergang des Traditionsbieres schuldig. Ganz kann dies nicht stimmen, denn produziert wurde es bis nach der Wende. Geschlossen wurde die Brauerei, nachdem sie – wie in so vielen Fällen – an finanzstarke (also westliche) Firmengruppen verschachert wurde, denen es in vielen Fällen eher darum ging, den Markt von unliebsamer Konkurrenz zu bereinigen...
2011 bildeten polnische Aktivisten eine Kommission zur Rettung des Grätzer Biers. Seit Mai 2015 wurde es dann als „Piwo z Grodziska
“ wieder angeboten und so als historische Sorte vor dem Untergang bewahrt. In Grodzisk Wielkopolski ist nun die absurde Situation entstanden, dass das in der Original-Brauerei nach der überlieferten Rezeptur mit dem örtlichen Wasser gebraute Bier leider nicht seinen angestammten NamenFür den Rechteinhaber eine recht komfortable Situation:
Sollte die Bemühungen um die Wiederbelebung des Bierstils von Erfolg gekrönt werden, kann man auf den Zug aufspringen und es unter dem traditionellen Namen verkaufen... tragen darf. Es heißt nun
Piwo z Grodziska
Bier aus Grätz
Aufgrund des fantastisch laufenden Ausschanks bei den "Gartenträumen" blieb uns diesmal nicht einmal Zeit für ein Gruppenfoto...
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Da dem Sud einiges an Recherchearbeit vorausging, hat sich auch etliches an "Information" angesammelt - daher ist der Text recht lang geraten... Nichtsdestotrotz, gibt es noch weiterfürende Links:
- Stilporträt Grätzer im Brau!magazin
- Auf den Spuren des Grodziskie in Polen
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Die Texte und Grafiken stehen, sofern nicht anders gekennzeichnet, unter der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE. Sämtliches nicht eigenes Bildmaterial entstammt den Wikimedia-Commons und wurde unter einer freien Lizenz veröffentlicht. Davon abweichend
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- wurde die in der Überschrift verwendete Schriftart "Wellsley Font" von James Fordyce entworfen und auf www.fontspace.com als "Freeware" veröffentlicht
- erhielten wir von Friedies Brauhaus (wo man ebenfalls ab und an ein Grätzer braut) das Okay, die Bilder seiner historischen Etiketten zu verwenden
- stammt das Etikett von "Swinborne's Patent Refined Isinglass Gelatine" aus einem Bild des Flickr-Kanals der Boston Public Library, welches unter einer Attribution 2.0 Generic Lizens veröffentlicht wurde
- wurde die Abbildung vom Stör auf Pixnio als "Public Domain, urheberrechtsfrei" veröffentlicht
Danke!