Sud 50
50 | |
Biertyp | Roggenbier |
Bierart | unterg. Lagerbier |
Stammwürze°P | 12,2 |
Alkohol%Vol | 4,3 |
Brautag | 19.3.22 |
Anstich | |
Ursprung | Nord- und Osteuropa (evtl. Deutschland, Bayern) |
Malze | Roggenmalz hell, Pilsner (& ein paar Haferflocken…) |
Hopfen | Northern Brewer |
Geschmack | getreidig/brotig, milde Hopfennote, „samtig-weich“ |
Trinktemp.°C | |
Was für ein Bier ist das?…
Den etwas willkürlichen Festlegungen des Reinheitsgebotes folgend wird Roggenbier
hierzulande meist obergärig gebraut. Und eigenartigerweise dabei dann sehr oft eine typische (phenolische) Weißbierhefe verwendet, die aber den speziellen Charakter des Roggens – der gerade auch im Zusammenhang mit Bier immer wieder auch als „brotig“ umschrieben wird – eigentlich eher überdeckt. Möglicherweise in einer (unbewußten) Analogie zum Gebäck sind Roggenbiere zudem oft dunkelWas insofern ein klein wenig erstaunt, als standardmäßig gar kein dunkles Roggen-Malz (etwa im Stile eines Münchner Malzes) erhältlich ist. Die dunkle Farbe kommt beim Roggenbier also nicht irgendwie automatisch, sondern muß vom Brauer aktiv „gestaltet“ werden! Das Basis-Roggenmalz selbst würde ein fast ebenso helles Bier liefern, wie ein helles Gerstenmalz auch ( – zumal Roggenmalz normalerweise sowieso nur anteilig verwendet wird…)..
Wir haben jedenfalls ein helles, untergäriges Roggen-Lagerbier
gebraut – in der Absicht, den speziellen Roggen-Charakter besonders „herauszuarbeiten“.
Roggen als Brot- und Braugetreide
Beim 6-Korn-Landbier
wurde schon einiges über die Verwendung verschiedener Braugetreide zusammengetragen: Roggen war bis vor gar nicht allzu langer Zeit in unserem Raum unwidersprochen das wichtigste BrotgetreideNur dort, wo bis heute die verschiedensten Formen von Weißbrot das Alltags-Brot darstellen, lag auch früher schon die „Region des Weizens“ – er ist etwas frostempfindlich, hat eine recht lange Vegetationszeit und bevorzugt bessere Böden (ist unter den entspr. Bedingungen allerdings auch viel ertragreicher!). Unter unseren Klimabedingungen und erschwerend auf den oft sandigen, trockenen Böden im Norden gedieh er mäßig bis schlecht, war entsprechend wertvoll und wurde eher für Feinbackwaren denn für Brot verwendet.
Ursprünglich wurde Roggen wohl in seiner Herkunftsregion als Wildgras oder „Unkraut“ in die Weizen- und Gerstenfelder eingeschleppt und breitete sich so im Saatgut aus – und verdrängte dann später andernorts unter den entsprechenden Bedingungen die Ursprungsart aus dieser „Mischung“ und wurde so zum „Korn des Nordens“.. Da aber Gerste ebenfalls wenig Ansprüche an den Boden stellt, in unserem Klima noch prächtig wächst, beim Brauen gegenüber Roggen einige Vorteile ausspielt (und eben kein wichtiges Brotgetreide ist), konnte sich diese als Haupt-Braugetreide etablieren – im Mittelalter wurde aber wohl auch hierzulande viel Roggen (und Hafer) verwendet; regelrecht „beliebtDas lag vermutlich weniger am „Resultat“ – aber Roggen ist beim Brauen etwas problematisch… Dem Korn fehlen zum einen die zum Läutern notwendigen Spelzen (die Getreidehülsen, die im „Malzbrei“ dafür sorgen, dass überhaupt Wasser hindurchfließen und der Treber somit als Filterschicht dienen kann). Zusätzlich hat Roggen einen hohen Gehalt an Schleimstoffen (Pentosane), die die Maische in einen klebrigen Kleister verwandeln können ( – und wer schon einmal einen Roggenteig hergestellt hat, weiß, dass dies eine sehr klebrige Angelegenheit sein kann!). Daher wird man Roggen möglichst nur anteilig verwenden und mit einem Spelzengetreide mischen, wobei sich Hafer mit seinen schönen, großen Spelzen offenbar anbot. Obwohl man die Pentosane beim Maischen möglichst „zerlegt“, behalten Roggenbiere eine spezielle, weiche Textur (und eine gewisse Trübung)… “ war er wahrscheinlich nicht. In noch ungünstigeren Klimaten spielt Roggen als traditionellesDass er bei uns als Brauzutat verschwand, wird u.a. damit begründet, dass er in schlechten Erntejahren dann als Brotgetreide ausfiel und das Reinheitsgebot die Verwendung fortan untersagte – was aber nicht so ganz überzeugt, da dieses ja den Weizen ebenso betroffen hätte (der zudem ja noch schlechter wuchs). Eher ist anzunehmen, dass die Vorteile der nunmehr ausreichend vorhandenen Gerste den Roggen als Braugetreide überflüssig machten – was eben wohl andernorts nicht der Fall war… Braugetreide noch wesentlich länger eine gewisse Rolle.
Für uns scheint die typische Roggen-Region eigentlich weiter im Osten zu liegen. Riesige Laibe schwarzen Roggenbrots assoziiert man eher mit Russland oder dem Baltikum – genau wie den Brot-Trunk KwassDie Definition ist eigentlich weiter gefasst, aber unter traditionell hergestelltem Kwass (lit. Gira, estn. Kali) verstehen wir typischerweise einen leicht säuerlich vergorenen, nur wenig alkoholischen „Absud“ aus (geröstetem) Roggenbrot (da dieses aber normalerweise keine vergärbaren Zucker enthält, wird solcher zugegeben).
Industriell wird Kwass aber nicht aus Brot, sondern aus speziellen Malzen (oder Malzextrakten) hergestellt (dann aber oft nicht mehr vergoren – was ihn alkoholfrei macht, ihm aber einiges an Charakter raubt). Um den brotigen Geschmack zu erhalten, wird spezielles Kwass-Malz produziert. Dieses wäre wohl auch für Roggen-Biere ideal geeignet: Als „rotes, fermentiertes Roggenmalz aus Litauen“ war solches unter Hobbybrauern eine Zeit lang äußerst beliebt (ist aber derzeit leider nicht zu bekommen).
Die häusliche Herstellung von Kwass scheint noch immer verbreitet (wobei zwar oft auch auf „Instandt-Produkte“ zurückgegriffen wird, die dann aber herkömmlich vergoren werden).. Tatsächlich aber ist Deutschland (vor Polen und Russland) der größteWobei die reine Menge natürlich nichts über den Anteil in den kleineren Ländern aussagt – und auch nichts über die geografische Verteilung in großen Ländern (so wird er im nördl. Russland und im Baltikum wahrscheinlich dominieren, in Deutschland nimmt sein Anteil nach Südwesten hin ab). Auf den folgenden Rängen sind dann Weißrussland und Dänemark zu finden, was wohl seine geografische Ausbreitung klar umreißt…
Wirklich wichtig ist er sowieso nur in Europa, weltweit sein Anteil recht gering. Roggenproduzent der Welt.
Deutsche Tradition?
Und so scheint denn auch der (internationalen) Bierwelt Roggenbier
tatsächlich irgendwie als urdeutsche oder -bayrische „Tradition“ zu gelten – was aber vermutlich eher auf geschicktem Marketing denn auf harten Fakten beruht. Auswertungen historischer Befragungen bei Farmhouse-Brauern widersprechen jedenfalls einer solchen Tradition: Als möglichesWobei möglich hier nicht ausschließlich meint, dass tatsächlich auch mit Roggen gebraut wurde, sondern auch, dass es bekannt war, dass man ihn verwenden kann oder dass dies früher mal gemacht wurde – teils ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass dies nur „zur Not“ geschah!…
Die Zahlen:
Russland 100%, Finnland 81%, Schweden 51%, Estland 33%, Litauen 11%; Norwegen 2% und in Deutschland (bei allerdings viel schmalerer Datenbasis) niemand...
L. M. Garshol – "Historical Brewing Techniques"; S. 46) Braugetreide wird Roggen vor allem in Russland, Finnland und Schweden erwähnt, dann noch in Estland und Litauen – in Deutschland hingegen überhaupt nicht. Selbst alte Brauliteratur, die sogar Bohnen und Erbsen als mögliche Zutaten nennt, erwähnt ihn nur ablehnend (andere gar nicht).
Zum Bier nimmt man den Roggen aus dieſem Grunde nur ſelten, wol aber zum Eſſig. Das daraus gemachte Bier iſt schwer, wenig wolſchmeckend und zum Säuern geneigt.
Also zumindest lebendig war diese „Tradition“ wohl nicht mehr…
Roggenbier-Stile
Unter den sehr seltenen, bekannten, historisch gewachsenen Bierstilen mit Roggenanteil wird man am ehesten im Ostseeraum fündig: Dem finnischen Sahti
– und bedingt noch dem Gotlandsdricka
Für das Gotlandsdricka
ist belegt, dass Roggen oftmals anteilig benutzt wurde – man seine Verwendung aber wenn möglich vermied. In modernen Zeiten führte das wohl schnell dazu, dass er aus dem Bier verschwand. Heute wird im Stilprofil Roggen kaum noch erwähnt; wichtiger sind Wacholder und (birken-) geräuchertes Malz….
In Estland existieren unter dem Begriff Koduõlu
Wobei Koduõlu
einfach Heim- oder Hausbier heißt, und somit wohl als Oberbegriff für estnische Farmhouse-Ales gelten kann. Einen eigenen Namen haben die beiden unterschiedlichen Vertreter anscheinend nicht, dass der Seto wird manchmal (aber wohl eher „von außen“) als Seto-Koduõlu
oder Setomaa-Koduõlu
bezeichnet.
Für Saaremaa gibt es eigentlich keine lebendigen Belege, dass überhaupt Roggen zum Einsatz kommt – im Internet lässt sich die Aussage, es sei ein Roggen-Bierstil, aber trotzdem finden. Evtl. liegt hier auch eine Verwechslung mit dem Seto-Koduõlu
vor? Da Saaremaa für die Landwirtschaft günstige Bedingungen aufweist, wäre ebenfalls plausibel, dass hier auf den „unbeliebten Roggen“ einfach schon recht früh verzichtet werden konnte und er ähnlich dem Gotlandsdricka
inzwischen einfach „verschwunden“ ist… zwei völlig verschiedene Biere: Das der Insel Saaremaa (auch Øsel oder Oesel) scheint vom Stil her stark dem Sahti
verwandt (aber nur noch ausnahmsweise Roggen zu enthalten). Bei den Seto (in Südost-Estland und angrenzend in Russland) gleicht deren Koduõlu
heute in Art und Herstellung wohl etwas dem Kwass (est. Kali) – der ursprünglichen Form nach scheint es aber ein waschechtes Roggen-Keptinis
gewesen zu sein! (Die zur Herstellung benutzten Malz-Brote kann man wohl sogar als õlleleib beim Bäcker kaufen.)
Auch in (Zentral-) Russland sind Reste einer einstigen Farmhouse-Brau-Tradition lebendig, in der auch reine Roggen-Biere überliefert sind. (Oft kommt hier eine besondere Methode zum Einsatz, bei der die Maische über Nacht „gebackenDie Maische kommt nicht wie beim Keptinis
als „Laib“ in den Ofen, sondern dickflüssig in einem speziellen Gefäß: der Korchaga. Mit der Restwärme des bereits abgekühlten typischen, großen Haushalts- oder Küchenofens wird „über Nacht“ der Maischevorgang durchlaufen – wobei dann ebenfalls Bräunungs- und Karamellisierungsvorgänge stattfinden.
(Dabei stellt die Korchaga kein ausschließliches Brauutensil dar, sondern wird beim traditionellen Umgang mit diesem Ofen auch zur Speisezubereitung o.ä. genutzt. Bei „Brau-Korchagas“ ist eine Art Auslaßröhrchen vorhanden, so dass aus diesen – sofern man das Filterbett vorbereitet und „mitbäckt“! – anschließend unmittelbar geläutert werden kann.)
Für Karelien wird mit dem Kalja
ein leichtes Alltagsbier aus einer Mischung gemälzten und ungemälzten Roggens genannt, das auf sehr ähnliche Art hergestellt wird (wobei aber die Abgrenzung zum finn. Kvassi nicht ganz eindeutig ist…).“ wird.)
Wie beim Kornøl
erläutert wurde, ist bei den Meisten traditionellen Bieren der genannten Regionen die Verwendung von Wacholder mehr oder weniger obligatorisch.
Litauen hat eine ziemliche Anzahl von Roggenbieren im regulären Handel, die dort den Namen Ruginis
tragen. Nicht ganz klar ist, ob dies unbedingt auf lokaleSo wurde etwa das Ruginis
der bekannten Marke Tauras mit der Legende verwoben, nach der die Brauer das alte Rezept irgendwo in Bayern ausgruben, wo dieses Bier seit dem Mittelalter gebraut wurde (und die Restriktionen des Reinheitsgebots irgendwie im amerikanischen Exil überlebte…).
Aber – womit sich der Kreis schließt:
Tatsächlich ist die Erinnerung an dieses Bier ein wenig für den Wunsch verantwortlich, eine solche Art Roggen
auch einmal auszuprobieren!… Traditionen zurückgeht (oder der einfach dort sowieso großen Bandbreite verfügbarer Bierstile zuzuschreiben ist).
In der (vor allem amerikanischen) Craft-Beer-Szene existieren einige Rye-Ale
s und Rye-IPA
’s, welche aber wohl eher nicht auf historischen Bierstilen fußen.
Bald kommt das „Roggen“ ins Glas…
Um den brotigen Charakter zu unterstreichen, wurde extra ein Teil des Roggens in der Art eines Keptinis
verarbeitet:
Weiterfürende Links:
- wer mehr über die Besonderheiten des Brauens mit Roggen wissen möchte, findet im Artikel Mythos Roggenbier des Brau!magazins viele Informationen
- zu einigen der erwähnten Techniken und Bierstile (nebst erläuternden Fotos) findet man im Blog von Lars Marius Garshol Näheres (dort dann etwa nach „Rye“ suchen...)
- über das kurz erwähnte Kalja kann man auf der Seite von Mika Laitinen lesen
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- wurde die in der Überschrift verwendete Schriftart "IM Fell DW Pica" von Igino Marini entworfen und bei fontsquirrel.com unter der SIL Open Font License (OFL) veröffentlicht
- sammt das Foto der zwei fermentierenden Kwass-Gläser von Andrij Bulba und steht unter einer Creative Commons Attribution 2.0 Generic license
- steht das Bild der Korchaga von AnnaOnegina unter einer Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license
- steht das Etikett zum freien Download bereit - jegliche kommerzielle Verwendung ist untersagt!